„Nein heißt Nein“ oder „Was genau ist ein erkennbar entgegenstehender Wille?“

Nach dem neuen § 177 I StGB sollen sexuelle Handlungen dann strafbar sein, wenn sie gegen den erkennbar entgegenstehenden Willen vorgenommen werden.
Der entgegenstehende Wille des Opfers soll aber nicht per se zur Strafbarkeit führen (auch wenn das einige Vertreter der Nein heißt Nein Bewegung gefordert haben), sondern nur dann, wenn er „erkennbar“ war. Die Gesetzesbegründung will die Erkennbarkeit eines entgegenstehenden Willens anhand der Sicht eines objektiven Dritten vornehmen.

Demnach sei ein entgegenstehender Wille erkennbar, wenn die Weigerung entweder ausdrücklich erklärt worden ist oder sich unmissverständlich aus der Situation ergibt, etwa wenn das Opfer sich wehrt, sträubt oder weint.

Aus der Gesetzesbegründung geht allerdings nicht hervor, ob eine solche Kommunikation eine notwendige Bedingung ist oder ob es auch Erkennbarkeit ohne Kommunikationsbeitrag des Opfers geben kann? Rechtsanwender könnten argumentieren, dass unter bestimmten Umständen ein entgegenstehender Wille objektiv erkennbar sei, auch wenn sich die betroffene Person gänzlich apathisch verhält.

Dabei ist schon die vom Gesetzgeber konstruierte Figur des „objektiven Beobachters“ bei der Rechtsanwendung krass auslegungsbedürftig. Dies stößt auf Grenzen der Objektivität, da damit zu rechnen ist, dass individuelle Einstellungen zu Sexualität und Ästhetik zu unterschiedlichen Bewertungen führen.
Davon ganz abgesehen ist bereits die sehr schwierige Feststellungs- und Beweisfrage zum Tatbestand, was ein obj. erkennbar entgegenstehender Wille sein soll (nicht nur aus Gesichtspunkten des Täterschutz, denn eine Folgerung wie: „Unter diesen Umständen kann die Frau oder der Mann das nicht gewollt haben“, ist für subjektive Einfärbungen höchst anfällig).
Der frühere Vorteil des alten Rechts, dass das Fehlen der Zustimmung aus objektiven Umständen (Gewaltanwendung, Bedrohung usw.) abgeleitet werden konnte, fällt damit schon mal weg.

Auch die Beweiserhebung wird sich mehr als bisher auf das Opfer-Verhalten konzentrieren, weil – nur – daraus das Fehlen der Zustimmung abgeleitet werden kann. Damit aber werden opferbeschuldigende Verteidigungsstrategien geradezu provoziert (Wenn der Angeklagte die Tat nicht freimütig einräumt, muss auf den Vorsatz aus den äußeren Umständen des Falles geschlossen werden. Dadurch wird verständlich, weshalb geleisteter Widerstand bisher von der Rechtsprechung als wesentliches Indiz für den entgegenstehenden Willen des Opfers und die entsprechende Kenntnis des Angeklagten angesehen wurde).
Was dabei übersehen werden könnte: Nicht der objektive Dritte, sondern der Täter muss selbst davon ausgehen, dass das Opfer mit der sexuellen Handlung nicht einverstanden ist. Der Gesetzeswortlaut lässt die Deutung zu, dass der Täter lediglich die Umstände erkannt haben muss, aus denen der objektive Dritte im Gegensatz zu ihm die richtigen Schlüsse gezogen hat. Oder aber der den entgegenstanden Willen für objetiv erkennbar haltende Rechtsanwender wird dem Beschuldigten, der behauptet dies gerade nicht erkannt zu haben, nicht glauben.
Obwohl aber das Sexualstrafrecht (auch das neue) keine besondere Sorgfaltspflicht voraussetzt, sich der Zustimmung des Opfers zu vergewissern („Nur ein Ja ist ein Ja.“), führen solche Überlegungen zu einer faktischen Fahrlässigkeitsstrafbarkeit, die das Sexualstrafrecht aus gutem Grund nicht kennt. Denn nur vorsätzliches Handeln, wenn also der Täter weiß oder als sicher voraussieht und billigend in Kauf nimmt, dass der Wille des Opfers erkennbar entgegenstand, soll dazu führen, dass jemand wegen eines solch schweren Delikts bestraft werden kann. Nicht hingegen weil er dies schlicht nicht erkannt hat, weil sich z.B. das Opfer aus seiner Sicht ambivalent geäußert hat.

Dabei stellt ambivalentes / widersprüchliches Verhalten des Opfers eines der Hauptprobleme dar. Denn wie grenzt der Rechtsanwender ab, wenn der erkennbar entgegenstehende Wille nicht explizit-verbal geäußert wurde, sondern aus Verhalten zu erschließen ist. Die Gesetzesbegründung nennt zwei Beispiele für konkludente Ablehnung: Weinen und Abwehren der sexuellen Handlung. Was aber wenn das Opfer aktiv mitwirkt und das Gesamtverhalten damit keine eindeutige und konsistente Ablehnung signalisiert? Ergibt sich aus der Beobachterperspektive dagegen ein ambivalentes Bild, nicht zuletzt auch aus der maßgeblichen subjektiven Sicht des Täters, vor allem z.B. bei Meinungsänderungen, deren Umschwung der Beschuldigte erkannt haben muss?!
Umgekehrt kann zweifelhaft sein, ob ein „Nein“ wirklich die Bedeutung einer strikten Ablehnung hatte, wenn die Person später höchst aktiv mitwirkt und die sexuellen Handlungen des anderen nicht nur passiv erduldet. So muss etwa in Beziehungen ein „Nein“ noch keine endgültige Ablehnung bedeuten (denken Sie an den neuen Zeitgeist der „Shades of Grey“, wo der Widerwille durch sexuelle Handlungen überwunden wird).
Ein Nein bedeutete bis jetzt nur dann Nein, wenn es ernst gemeint ist – woran macht man das nach dem schwammigen neuen Gesetzeswortlaut im Einzelnen fest?

Und wie will man nach der neuen Rechtslage überhaupt noch den für eine Verurteilung notwendigen Vorsatz zur Tat annehmen ohne ihn – mangels konkreter Anhaltspunkte – einfach blindlings zu unterstellen? Der subjektive Tatbestand ist erfüllt, wenn es der Täter zumindest billigend in Kauf nimmt, dass die sexuelle Handlung gegen den objektiv erkennbaren entgegenstehenden Willen des Opfers geschieht, so das geltende Recht. Wenn der Täter den Widerwillen der anderen Person aber nicht kennt, handelt er ohne Vorsatz. Dabei kommt es nicht einmal auf den Grund der Unkenntnis an (vgl. § 16 I StGB) und auch nicht, ob dies vermeidbar war oder sich auf moralisch überzeugenden Grundlagen stützt.
Gibt ein Beschuldigter also z.B. an, er habe die Kommunikation missverstanden, kann er nicht bestraft werden. Wer vorträgt, geglaubt zu haben, mit Willen der anderen Person zu handeln, dem wird nur schwer das Gegenteil zu beweisen sein, ganz unabhängig von der oben erwähnten schwierigen Beweislage, gerade wenn es Aussage gegen Aussage steht. Und wer z.B. irrig glaubt, dass seine sex. Handlungen die Person zu ihrer Zustimmung motivieren werden, handelt tatbestandslos!

Dass dieses Regelungsmodell des neuen Sexualstrafrechts die Tatgerichte also vor erhebliche Probleme stellt, liegt auf der Hand. Insbesondere wenn, wie häufig, Aussage gegen Aussage steht, wird man die Beweiswürdigung kaum schon darauf stützten dürfen, wessen Geschichte plausibler ist. Und dennoch steht zu befürchten, dass gerade wegen des rein von einem Richter subjektiv zu beurteilenden Maßstabs, ob das vom „Opfer“ behauptete Verhalten einen erkennbar entgegenstehenden Willen implizierte, gepaart mit dem gesellschaftspolitischen Verurteilungsdruck, noch mehr Unschuldige als bisher bestraft werden. Falschbeschuldigungen die sich nur noch darauf stützen müssen, dass man das alles nicht gewollt habe und dies ja schließlich für den „Täter“ erkennbar gewesen sei, z.B. weil man ganz traurig beim Sex geguckt habe, sind Tür und Tor geöffnet.

 

„Ja heißt Ja“ und „Was ist eigentlich eine erhebliche Einschränkung der Willensbildung?“

Die Pointe des neuen Sexualstrafrechts liegt in dem neu eingefügten Tatbestand des § 177 II Nr. 2 StGB. Wer mit einer alkoholisierten oder geistig minderbemittelten Person Sex haben will, muss sich vor einem Sexualkontakt mit dieser in ihrer Willensbildung eingeschränkten Person ihrer Zustimmung versichern. Hier gilt also: Nur ein eindeutiges „Ja“ ist ein „Ja“.
Diese Differenzierung einer erheblichen Einschränkung der Willensbildung ist gegenüber der bisherigen Rechtslage völlig neu.
Welchen Schweregrad diese Beeinträchtigung erreichen muss, erklärt die Gesetzesbegründung ebenso wenig, wie was eine erheblich eingeschränkte Willensbildung bzw. wie diese auszulegen ist. (Wer sich an Wortlaut und Alltagspsychologie orientiert, könnte z. B. Aufregung, Niedergeschlagenheit oder Nervosität unter „psychischer Zustand, der die Willensbildung erheblich einschränkt“ subsumieren.)

Dabei wird auch nicht gesagt, auf welchem Wege sich der Täter die Versicherung der Zustimmung einholen soll? Das Gericht mag sich eines Sachverständigen zu dieser (unmöglichen (siehe sogleich)) Feststellung bedienen – was genau soll der nicht selten berauschte Täter tun?
Auch gibt es keine Wissenschaft, die eine Unterscheidung zwischen der vom Gesetzgeber vorgenommenen Willensbildungsformen vorgenommen hätte, weil es schlicht keinen Anhaltspunkt dafür gibt, wann eine Willensbildung ein bisschen, etwas mehr, erheblich oder stark eingeschränkt wäre und woran man das erkennen kann.

So soll nach dem Gesetzeswortlaut die tatsächliche Zustimmung der geschützten Person sogar noch nicht einmal ausreichen um an ihr sexuelle Handlungen vornehmen zu dürfen, sondern der Handelnde muss sich der Zustimmung versichern, indem er die andere Person ausdrücklich oder schlüssig vor jeder einzelnen sexuellen Handlung fragt!

Es reicht also auch nicht aus, wenn die geschützte Person erst im Nachhinein erklärt hat, dass sie alles so gewollt habe, wenn sich der Handelnde nicht vorab ihrer Zustimmung versichert hat.
Diese vom Gesetzgeber ausdrücklich geforderte Zustimmung vor jeder einzelnen sexuellen Handlung hat mit der Wirklichkeit sexueller Interaktion nichts mehr zu tun. Es ist schlichtweg unpraktikabel und ist jetzt dennoch geltendes Recht!

Gänzlich absurd ist dabei, dass die Zustimmung faktische nur die Bekundung des natürlichen Willens erfordert. Im Fall der Zustimmung soll diese aber trotz geistigen Defekts vollgültig sein. Das ist ein klarer Selbstwiderspruch: Die faktische Zustimmung von Personen, denen – jedenfalls zum Teil – die Fähigkeit abgesprochen wird, rechtserheblich über ihre Sexualität zu disponieren, entscheidet über die Straflosigkeit sexueller Kontakte mit ihnen.
Auf die rechtliche Wirksamkeit der Willenserklärung soll es nach der Gesetzesbegründung gar nicht erst ankommen.
Damit genügen selbst unsinnige Entscheidungen, selbst wenn sie dem wohlverstandenen Interesse der betroffenen Person eindeutig zuwiderlaufen. Leicht beeinflussbare Personen können unschwer entsprechend manipuliert werden. Auf der anderen Seite wird dem unter § 177 II Nr. 1 StGB fallenden Personenkreis dieses Recht völlig abgesprochen, weil diese Personen nicht zur Bildung oder Äußerung eines natürlichen Willens in der Lage sind.

Die für die Praxis wichtigen Fallgruppen sollen geistige Behinderung, Demenz und starke Trunkenheit sein. Dies dürfte unter unseren derzeit geltenden gesellschaftspolitischen Standards eine krasse Diskriminierung von psychisch Erkrankten darstellen, denen damit die Fähigkeit selbstverantwortliche Entscheidungen zu ihrem Sexualverhalten abgesprochen wird.
Geht man noch dazu von einem Sexualpartner aus, der selbst geistig behindert ist, wird das Zustimmungserfordernis vollends unerfüllbar. Das gilt erst recht bei einem Sexualkontakt von zwei Personen, die beiderseits in ihrer Fähigkeit zur Willensbildung und -äußerung eingeschränkt sind. Wiederum eignet sich dieses formalisierte Verfahren allenfalls dazu, sexuelle Übergriffe bei alkoholisierten Diskothekenbekanntschaften zu vermeiden – und zwar dadurch, dass man sie ganz unterbindet.

Und last but not least: Wenn das Opfer einen ablehnenden Willen hat aber zur Willensbildung nur eingeschränkt fähig ist, bedeutet dies umgekehrt, dass die ausdrückliche oder schlüssige Ablehnung den Täter nicht bindet, sofern er der Ansicht ist, sie sei mit psychischen Mängeln behaftet. Dies würde seinen Vorsatz ausschließen.

 

Der „Domplatten- oder 007-Paragraph“

Nach dem neuen Gesetz ist jetzt zu ahnden, wenn der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, also so schnell und überrumpelnd vorgeht, dass die sexuelle Handlung bereits geschehen ist, wenn das Opfer den Vorfall registriert oder wenn das Opfer zwischen Erkennen des Vorhabens und der sexuellen Handlung nicht mehr rechtzeitig mit einer Äußerung reagieren kann (§ 177 II Nr. 3 StGB).

Es sollen damit zwei Strafbarkeitslücken geschlossen werden:

1. Grapscher wie solche aus der Kölner Silvesternacht sollen endlich bestraft werden können (wobei es sich in der besagten Silvesternacht ausweislich der bisherig bekannt gewordenen Verurteilungen überwiegend um Nötigungen, sexuelle Nötigungen, Körperverletzungen, Diebstähle und Raubtaten handelte).

2. Überrumpelungen, die zu langanhaltenden sex. Handlungen gegen den Willen unter Ausnutzung der Überrumpelung vorgenommen worden sein sollen – also ohne jede Gewaltkomponente und wie in so gut wie jedem der bisher 28 James Bond Filme – stehen jetzt unter Strafe.

Größtes Problem hierbei stellt die Abgrenzung zu § 184i StGB, der sog. Erheblichkeitsschwelle der sex. Handlung dar. Denn nach der Gesetzessystematik sollen ja nur erhebliche sex. Handlungen unter sexuelle Nötigung und ihren damit verbundenen schweren Strafen fallen! Sozialübliche Verhaltensweisen sollen ausscheiden. Nur, was ist denn sozialüblich und was nicht?

Auch bei der Abgrenzung zur Frage des Grunddeliktes der sexuellen Nötigung wegen sexueller Handlung trotz entgegenstehenden Willens gibt es ein Problem: Muss das Opfer im Falle einer Überrumpelung dann noch einen entgegenstehenden Willen haben? Überraschung kann ja auch heißen, dass sich das Opfer noch gar keinen Willen dazu gebildet hat?! Und der Gesetzeswortlaut des Grapscher-Paragraphen setzt gerade keinen entgegenstehenden Willen voraus. Wie sieht es also aus, wenn das Opfer sich zur Frage etwaiger sex. Handlungen noch gar keine Gedanken gemacht hat oder diesen sogar gleichgültig gegenüberseht steht? Und was, wenn dem Opfer im Nachgang die sex. Handlungen gefallen? Wird man dann trotzdem bestraft?

Und natürlich stellt sich auch hier wieder das Problem des Vorsatzes: wenn der Täter davon ausgeht, dass die sexuelle „Überraschung“ der anderen Person willkommen ist. Davon mag zwar nach unserem Kulturkreis ohne jegliche vorherige, auch ganz kurz dauernde Beziehung zwar noch nicht die Rede sein. Aber v.a. dann, wenn der Täter irrig annimmt, die überraschende Handlung werde der anderen Person jedenfalls gleichgültig sein oder sie womöglich zu weiteren sex. Handlungen motivieren, kann – mit Hinweisen auf Üblichkeit herrschender Verhaltensnorm und politische Korrektheit- eine solche (Schutz)-Behauptung nicht mehr ausgeschlossen werden und dann auch zu keiner Verurteilung führen!

 

Nie mehr bei Regen Sex haben!

Nach dem neuen Sexualstrafrecht macht sich nunmehr strafbar, wer eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht oder anders gesagt, die Furcht des Opfers vor einem empfindlichen Übel ausnutzt (§ 177 II Nr. 4 StGB).
Mit der Norm sollen „insbesondere die ‚Klima-der-Gewalt‘-Fälle erfasst“ werden. Gemeint ist damit, dass die Beteiligten eine persönliche Beziehung oder familiäres Zusammenleben verband oder verbindet, die durch Gewalt eines „Partners“ oder Familienmitglieds geprägt waren. Wer in der Vergangenheit Anordnungen konsequent mit Gewalt durchgesetzt hat, muss irgendwann nicht mehr explizit-verbal oder konkludent drohen, um seinen Willen durchzusetzen.

Das vom Opfer befürchtete Übel wird aber in Nr. 4 nicht näher spezifiziert. Es muss geeignet sein, die bedrohte Person in der konkreten Situation zu dem gewünschten Verhalten zu bestimmen. Was letztlich ein Empfindliches Übel ist, kann nur anhand des bereits bestehenden Nötigungsparagraphen (§ 240 StGB) ausgelegt werden und eröffnet damit einen erheblichen Spielraum für den Rechtsanwender: Als Beispiele für empfindliche Übel werden dort nämlich u.a. angeführt: Unterbinden einer Heizöllieferung, langanhaltender Lärmterror, kein Dissertationsthema zu vergeben, jemanden ohne Regenschirm in den Regen rausschicken….

Dabei ist völlig Irrelevant, ob der Eintritt des befürchteten Übels rechtlich erlaubt ist. Wer etwa eine Prostituierte aufsucht und dabei ihre Angst vor einer Abschiebung ausnutzt, macht sich wegen sexueller Nötigung strafbar.

Strafbar werden damit alle Taten bei denen vor allem soziale Nachteile wie etwa die Befürchtung, bei einer Verweigerung sexueller Handlungen den Lebenspartner, ehrenamtliche Mitgliedschaften, den Arbeitsplatz etc. zu verlieren. Damit wird aber das Leben an sich als Gefährdungslage definiert, denn jeder Mensch ist jederzeit in einer Lage, in welcher bei Widerstand irgendein Übel drohen kann.

Es ist nicht einmal eine Tathandlung notwendig (!) Das bloße Ausnutzen des vom Opfer befürchteten Übels genügt. Eine Einwirkung auf das Tatopfer wird vom Gesetz ausdrücklich nicht verlangt! Der Täter muss nach dem Gesetzeswortlaut das vom Opfer befürchtete Übel also nicht einmal ausdrücklich androhen oder aussprechen. Maßgeblich ist allein die Opferperspektive. Ob der Täter das befürchtete Übel in die Tat umsetzen kann oder überhaupt will ist ebenfalls völlig unerheblich.

Mit der ungenauen Bezeichnung, dass das Opfer im Falle des „Widerstands“ einen Nachteil befürchten muss, ist nicht lediglich körperliche Gegenwehr gemeint. Vielmehr ist Widerstand dahingehend auszulegen, dass es jede Verweigerung des angesonnenen Sexualkontakts erfasst, also das Opfer muss nicht befürchten handgreiflich werden zu müssen um das befürchtete Übel abzuwenden, allein die für das Opfer unangenehme Situation wenn es sich dem Sexualkontakt nicht hingibt, reicht also aus.

Und auf Seiten des Täters nutzt dieser die für das Opfer bedrohliche Lage aus, wenn er sie sich für den sexuellen Übergriff bewusst zunutze macht. Daraus ergibt sich der Vorsatz. Der Täter muss lediglich für möglich halten (bedingter Vorsatz), dass das Opfer nicht mit dem angesonnenen Sexualkontakt einverstanden ist und sich nur aus Furcht vor einem empfindlichen Übel darauf einlässt. Wie man das nachweisen können will ist schier ein Rätsel.

 

Unmoralischer Sex endlich strafbar

Neu im Gesetz ist nun auch die sexuelle Belästigung wonach mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird, wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt.

„Unerhebliche“ sexuelle Belästigungen (z.B. „Busengrapschen“) waren bislang nicht strafbar. Um diese „Strafbarkeitslücke“ zu schließen, wich die uneinheitliche Rechtsprechung gelegentlich auf den Tatbestand der Beleidigung (§ 185 StGB) aus. Das Ausweichen auf die Beleidigungsdelikte als „kleines Sexualstrafrecht“ ist jedoch abzulehnen, da eine Beeinträchtigung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts nicht notwendig einen Angriff auf die Ehre enthält und über die sexuelle Belästigung hinaus zusätzliche Umstände, die der Handlung die Bedeutung der Missachtung der Ehre des Opfers verleihen, notwendig sind.
Zwar unterlagen nach bisherigem Recht sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz als Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten bzw. Dienstvergehen den entsprechenden arbeits- oder dienstrechtlichen Sanktionen (vgl. § 4 BeschäftigtenschutzG, nun § 3 Abs. 4 AGG), ferner auch im Zusammenhang mit der Berufsausbildung und -ausübung §§ 2 Abs. 1 und 3 Abs. 4 AGG, sodass man durchaus darüber streiten kann, ob jede sexuelle Zudringlichkeit schon mit dem scharfen Schwert des Strafrechts verfolgt werden muss.

Am Standort des § 184i StGB – nämlich nach § 184h StGB, der Definition wann sexuelle Kontakte in strafrechtlicher Weise erheblich sein sollen – ist allerdings zu erkennen, dass die von § 184i StGB umfassten Handlungen sämtlich unterhalb der Schwelle der Erheblichkeit einzuordnen und damit auch strafbar sind.
Die Gesetzesbegründung verweist hierzu auf das Recht, frei über das „Ob“, das „Wann“ und das „Wie“ einer sexuellen Interaktion zu entscheiden, denn auch durch unerwünschte sexuell konnotierte Körperberührungen, die nicht die von § 184h Nr. 1 StGB geforderte Erheblichkeitsschwelle erreichen, wird das Opfer beeinträchtigt
Gleichwohl sollen laut Gesetzesbegründung Zweifelsfälle, die die Stufe der Erheblichkeit nicht erreichen, zweifelsfrei erfasst werden?!?

Strafbar macht sich jetzt, wer eine Körperberührung vornimmt, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild eine sexuelle Konnotation aufweist und dadurch die Person belästigt.

Wieder ist es reine Auslegungsfrage, was „sexuell bestimmt“ heißen soll? Die Gesetzesbegründung führt aus: „Die körperliche Berührung erfolgt in sexuell bestimmter Weise, wenn sie sexuell motiviert ist.“ In Betracht sollen kommen aufgedrängte Küsse auf die Wange, Berührungen der primären oder sekundären Geschlechtsmerkmale, Umarmungen oder auch ein Klaps auf den Po.
Schon damit wird aber auf die rein subjektiven Beweggründe des Handelnden verwiesen und dem Rechtsanwender ein erheblicher rein subjektiver Beurteilungsspielraum mit sehr weiten Anwendungsbereich eröffnet.

Darüber hinaus sollen aber auch ganz subjektiv motivierte Umstände des Täters, die ein sexuelles Gepräge haben, also solche mit denen der Täter ein sex. Interesse an einer anderen Person zum Ausdruck bringen oder werbend einwirken will, unter den Tatbestand fallen. Das wiederum heißt, dass das Streicheln von Körperteilen wie Hand, Arm, Bein, Knie gleichfalls als sexuelle Belästigung zu ahnden ist, denn die Gesetzesbegründung stellt allein auf die subjektive Motivation ab und erwähnt ausdrücklich Küssen des Halses….

Was darüber hinaus Belästigung bedeutet ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Sieht man sich allerdings zu dem Begriff der Belästigung folgendes Ergebnis einer Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) aus März 2014 an wird einem Angst und Bange:

Nach Befragung von 42.000 Frauen in 28 EU-Mitgliedsstaaten im Alter zwischen 18 und 74 Jahren, haben 60% der Frauen mindestens eine Form der sexuellen Belästigung erfahren. Auf nähere Nachfrage um was für Belästigungen es sich dabei gehandelt hatte, wurden neben unerwünschtem Berühren, Umarmen, Küssen, Streicheln oder Anfassen vor allem
o das Erzählen schmutziger Witze
o das Zeigen oder Verteilen sexuell eindeutiger Zeichnungen oder Bilder
o Briefe, Notizen, E-Mails, Telefonanrufe oder anderes Material sexueller Natur
o Menschen nach ihren physischen Eigenschaften zu bewerten
o sexuelle Kommentare über Kleidung, Anatomie oder Aussehen einer ​​Person
o Pfeifen oder Nachrufe
o sexuell suggestive Geräusche oder Gesten wie Saug-Geräusche, Zwinkern oder Beckenbodenstöße
o direkte oder indirekte Drohungen oder Bestechungsgelder für unerwünschte sexuelle Handlungen
o wiederholtes Fragen nach Dates oder Sex
o Beschimpfungen wie Schlampe, Hure oder Flittchen
o offensives Anstarren (der Brüste einer Frau oder des Gesäßes eines Mannes)
o unerwünschte Fragen über das eigene Sexualleben
geschildert. Ein wesentlicher Teil der Definition war das Wort “ unerwünscht“.

Nach Auffassung des Gesetzgebers ist von sexueller Belästigung auszugehen, wenn „das Opfer in seinem Empfinden nicht unerheblich beeinträchtigt“ wird. Auch hier ergibt sich nun ein uferloser Anwendungsbereich, da der Mensch sich durch jedes beliebige Verhalten belästigt fühlen kann, zumal auch hier kein obj. Zustand, sondern ein rein subj. Empfinden beschrieben wird. Insoweit erfolgt die Bestimmung der Belästigung nicht nach dem Urteil eines obj. Dritten wie z.B. dem Richter sondern allein anhand des Empfindens des Opfers.

Dies führt zu einer krassen verfassungswidrigen Überdehnung der Aufgabe des Strafrechts: Erfasst werden jetzt nämlich auch sozialübliche, aber erfolglose körperliche Annäherungen, etwa, wenn eine Person mit dem Ziel „einverständlicher Sexualkontakt“ einer anderen den Arm um die Schulter oder die Hand aufs Bein legt, dann aber feststellen muss, dass das Interesse einseitig ist. Konsequenz der weiten Auslegung ist eine Gesellschaft mit strikter körperlicher Distanz, in der sexuelles Interesse ausschließlich verbal bekundet werden darf.

Und jetzt kommt‘s: Bloße Distanzlosigkeiten wie Kuss auf die Wange(!) oder in den Arm nehmen, so die Gesetzesbegründung wörtlich, sollen aber hiervon nicht erfasst sein – im diametralen Widerspruch zu dem o.g. Küssen des Halses und den aufgedrängten Küssen der Wange!

Welche Maßstäbe dieser Differenzierung zu Grunde liegt, man weiß es nicht. Auch wie es z.B. bei körperlichen Untersuchungen, Anproben, körperlichen Hilfestellungen aussieht ist unberechenbar.
Was man weiß ist, dass der Vorwurf einer sexuellen Belästigung schon mit jeder körperlichen Berührung einhergehen und zu einer strafrechtlichen Verurteilung führen kann – egal wie belanglos die Berührung auch sein mag. Problematisch dürften dann selbst sexuell konnotierte Berührungen innerhalb von Beziehungen sein – Sie werden nämlich nicht unbedingt immer dann vorgenommen wenn sicher ist, dass eine Belästigung nicht empfunden wird!?
Gleichwohl wird sich auch hier die Rechtsprechung bei der Frage des Vorsatzes extrem schwertun. Denn dem Täter muss die sexuelle Bedeutung seines Verhaltens bewusst sein. Damit scheiden aber alle Handlungen aus, die der Täter in der irrigen Annahme tätigt, das Opfer werde sie als Kompliment, Werbung, Wertschätzung, usw. auffassen! Und wie Richter am BGH Thomas Fischer schon richtig ausführt: Bitte vergessen Sie nicht, dass das Maß der Verkennung eigener Attraktivität und Überzeugungskraft nach oben hin offen ist.“
Insoweit kann die Einlassung des Täters, er habe als gewiss angenommen, dass die Berührung dem Opfer angenehm sein werde, nicht mit Hinweisen auf gesellschaftliche Standards des guten Benehmens widerlegt werden!

 

Sexuelle Handlungen aus einer Gruppe heraus

Die Förderung von sexuellen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen nach § 177 StGB oder sexuellen Belästigungen nach § 184i StGB soll künftig nach § 184j StGB mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden.

Nach der Gesetzesbegründung soll die Vorschrift dem erhöhten Gefahrenpotential von aus einer Gruppe heraus begangenen Sexualstraftaten Rechnung tragen. Dieser Normzweck ist lediglich vorgeschoben, denn es ist nicht ersichtlich, wie eine „motivierend wirkende Dynamik …, die durch die gegenseitige Bestärkung der Gruppenmitglieder gespeist wird“, zwischen Personen ablaufen können soll, die, so wie die Norm ausgestaltet ist, nichts voneinander wissen müssen. Tatsächlich geht es um die Vermeidung von Beweisproblemen. Die Strafverfolgung der Vorfälle in der Silvesternacht in Köln und anderswo scheiterte primär daran, dass die Opfer die Täter der sexuellen Übergriffe in den meisten Fällen nicht mehr identifizieren konnten sowie am äußerst zögerlichen Eingreifen der Polizei.

Tathandlung
– Vorhandensein einer Gruppe (mindestens drei Personen)

– Beteiligung des Täters an dieser Gruppe (und dadurch die Straftat gefördert haben -Beteiligung sei, so die Begründung, „nicht im Sinne der §§ 25 bis 27 StGB zu verstehen, sondern im umgangssprachlichen Sinn (???)“ )

– Diese Gruppe muss das Opfer „bedrängen“, das heißt mit Nachdruck an der Ausübung der Bewegungsfreiheit oder der freien Willensbetätigung hindern. Erforderlich sei eine gewisse Hartnäckigkeit der Einwirkung – es genügt die bloße Anwesenheit in dem Bewusstsein, dadurch irgendeine Straftat zu fördern.

– Der Täter muss (bedingten) Vorsatz haben, dass eine Personengruppe vorliegt, dass eine andere Person bedrängt wird, dass Mitglieder der Gruppe (nicht notwendigerweise alle) mit dem Zwecke der Begehung einer Straftat handeln, dass er selbst als Mitglied der Gruppe zum Bedrängungseffekt beiträgt.

– Die Straftat nach § 177 oder § 184i StGB soll eine bloße objektive Bedingung der Strafbarkeit sein, also dass sich ein Täter nach § 184j StGB an der sexuellen Handlung bzw. sexuellen Belästigung nicht durch einen eigenen Tatbeitrag beteiligt, ja sogar von deren tatsächlicher Begehung nicht die geringste Ahnung haben muss, sodass insoweit weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit erforderlich ist. Es genügt also die zufällige Anwesenheit in einer Menschenmenge mit zugestandenermaßen unlauteren Absichten, um jemanden für ein Sexualdelikt mitverantwortlich zu machen. Ein Taschendieb, der an einer Ecke eines völlig überfüllten Bierzelts am Münchener Oktoberfest eine Geldbörse stehlen will, hat nicht das Geringste mit dem sexuellen Übergriff zu tun, der sich zufällig zur selben Zeit in seiner Nähe ereignet.

Im Ergebnis bedeutet dies:

Fast vollständige Lösung eines Zusammenhangs zwischen Tathandlung und objektiver Bedingung der Strafbarkeit

im Rahmen des in Deutschland geltenden Schuldprinzips nicht vertretbar, da sich die Sexualstraftat eines anderen als gänzlich zufällig darstellt

Umgehung etablierter Regeln mit „umgangssprachlichen“ Rechtsbegriffen

und somit definitiv verfassungswidrig!

 

Zusammenfassung

Obwohl man von jeder Person erwarten kann, ihren Willen eindeutig und klar auszudrücken – sofern sie sich nicht in einer Zwangslage befindet (was aber mit § 177 II Nr. 4 und 5 StGB ohnehin unter Strafe steht) – verzichtet man im Rahmen des neuen Sexualstrafrechts hierauf gänzlich.

Die Vorschriften des „alten Sexualstrafrechts“ (§ 177I a.F. StGB) war als strafrechtlicher Übergriff mit Nötigungscharakter konzipiert, da der Umstand, dass das Tatopfer die sexuelle Handlung nicht will, selbstverständliche Voraussetzung einer Nötigung ist, der es aber mit der neuen Fassung jetzt nicht mehr bedarf! Wie soll man aber eine solche Vorschrift ohne greifbare Kriterien mit Anspruch auf Gleichmäßigkeit und Rechtssicherheit umsetzen?

Mit dem neuen Gesetz wird die Rechtsgutstheorie aufgegeben, wonach nur solche Handlungen, die das geschützte Rechtsgut rechtserheblich verletzten und nicht von subj. Moral ausgelegte pädagogische Werte sanktioniert werden.
Der verfassungsgemäße Bestimmtheitsgrundsatz wird schlicht mit Füßen getreten und an dessen Stelle mit unbestimmten Rechtsbegriffen geteert, die stellenweise nicht einmal nach dem obj. Empfängerhorizont, sondern rein subjektiv ausgelegt werden sollen.

Bei konsequenter Anwendung der strafrechtlichen Vorschriften zum Vorsatz, wird man am Ende mit Thomas Fischer einhergehen und sagen müssen, dass das neue Gesetz an den Beweisproblemen nichts ändern wird. Symbolischer Aktionismus mit geringstmöglichen praktischen Effekten – so geht „Schutz durch Strafrecht 2016“ –allerdings mit folgender Einschränkung: Das neue Gesetz feilt nicht vor Falschanwendung getreu dem Motto: das Opfer ist immer glaubwürdiger als der Täter und die Tat impliziert immer auch den Willen zur Tat.

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