Der häufigste Fall von „Aussage gegen Aussage“ sind Konstellationen in denen jemand behauptet, sexuell belästigt, genötigt, vergewaltigt oder missbraucht worden zu sein, was der andere aber bestreitet – weil sexuelle Handlungen entweder überhaupt nicht oder aber mit Einverständnis des vermeintlichen Opfers vorgenommen wurden.
Tatzeugen gibt es selten und meist auch keine Sachbeweise, entweder weil sich das mutmaßliche Opfer erst lange Zeit nach der angegebenen Tat meldet oder aber sie lassen sich mit beiden Versionen erklären, weil der Tatverdächtige behauptet, dass der sexuelle Kontakt einvernehmlich stattgefunden hat.
Man könnte also meinen, mit der bloßen Aussage gegen Aussage läge eine „Patt-Situation“ vor, wem soll man schließlich glauben. Einzig logische Konsequenz sollte eigentlich eine Verfahrenseinstellung oder Freispruch sein – schließlich fehlt das Maß an Sicherheit einen Schuldspruch fällen zu können.
Leider ist es Gerichten hierzulande aber nicht vorgeschrieben, unter welchen Voraussetzungen eine Tatsache für bewiesen oder nicht bewiesen gilt. Der Richter ist in der Beweiswürdigung und damit auch in der Bewertung von Aussagen völlig frei und muss selbst bei mehreren möglichen Schlussfolgerungen nicht die dem Angeklagten günstigste wählen.
Der Richter kann also aufgrund einer zweifelhaften Zeugenaussage verurteilen,
obwohl Anschuldigungen gerade bei Sexualdelikten oftmals falsch sind. Dabei geht es nicht nur um bewusste Falschaussagen aus Motiven wie RacheEifersuchtSelbstschutz oder schlicht bösen Absichten, in sehr vielen Fällen sind PseudoerinnerungenBeeinflussungpsychische Erkrankung und Autosuggestion die Ursache für falsche Anschuldigungen.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist daher in Fällen von Aussage gegen Aussage besonders streng geworden. Denn nur, weil eine Auskunftsperson behauptet, Opfer einer Straftat zu sein, darf ein Gericht den Bekundungen dieser Person, die ja quasi eine Parteirolle (vor allem in der Funktion der Nebenklage) einnimmt, nicht höheres Gewicht beimessen als den bestreitenden Angaben des Angeklagten.
Vielmehr verlangt der Bundesgerichtshof aus guten Grund, dass die Aussage des Zeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung unterzogen wird, zumal der Angeklagte in solchen Fällen wenig Verteidigungsmöglichkeiten besitzt. Erforderlich sind u.a.:

  • Analyse der Aussagepersönlichkeit (Beurteilung der Fähigkeit eine zuverlässige Aussage zu machen)
  • Prüfung der Entstehungsgeschichte der Aussage
  • Untersuchung möglicher Motive für die Aussage
  • Analyse der Aussagequalität (inhaltliche Übereinstimmung der Aussagen, Detailliertheit, Plausibilität der Angaben, Anschaulichkeit und Strukturiertheit der Angaben)
  • lückenlose Gesamtwürdigung aller Indizien (dazu gehören auch außerhalb der Zeugenaussage liegende Indizien, wie z. B. Ereignisse und Umstände nach der Tat)

Vor allem Gerichtsurteile die sich nicht an diese von der höchstrichterlichen Rechtsprechung verlangten Vorgaben halten sind angreifbar. Die Erfahrung zeigt, dass sich dabei sogar wenige an diesen strengen Prüfungsmaßstab bei der Würdigung des Wahrheitsgehalts von Aussagen halten – vorausgesetzt sie kennen ihn überhaupt. Denn in der Juristenausbildung werden bislang leider keinerlei Kenntnisse um die Beurteilung von Glaubwürdigkeit von Zeugen und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen sowie der richtigen Vernehmungsmethoden vermittelt.

 

1. Fehler: Sachfremde Beurteilungskriterien

Daher wird bei der Beurteilung von „Aussage gegen Aussage“-Konstellationen sehr Vieles falsch gemacht. Häufig werden sogar völlig sachfremde Erwägungen in die Beweiswürdigung mit eingestellt, z.B. dass das mutmaßliche Opfer bei seiner Aussage geweint oder gezittert habe und damit den Eindruck besonderer Glaubhaftigkeit unterstreiche – dabei sind körperliche Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten wie Weinen, Zittern, Nervosität o.Ä. nach einhelliger wissenschaftlicher Forschung keinerlei Beweiswert oder Indiz für die richterliche Meinungsbildung.

 

2. Fehler: Fehleinschätzung der eigenen Sachkunde

Doch selbst, wenn sich Gerichte an den strengen Vorgabenkatalog der Aussagepsychologie halten, sind Ausführungen hierzu vielfach falsch – und damit auch die Beweiswürdigung. Die Ursachen für solche Fehler können auf mangelndem Verständnis für die komplexe Materie oder schlicht auf deren falscher Anwendung beruhen. Denn mangels Fachwissen aus der Gedächtnispsychologie, der Wahrnehmungspsychologie, der Sozialpsychologie, der Persönlichkeitspsychologie und der forensischen Psychologie sollen Juristen Entscheidungen über Konstellationen treffen, in welchen eigentlich ein Studium der Psychologie und entsprechendes Fachwissen vorauszusetzen wäre.
Gleichwohl liest man in Gerichtsurteilen oft, dass „aus aussagepsychologischer Sicht“ dieser oder jener Schluss zu ziehen sei. Mangels entsprechender Ausbildung in der aussagepsychologischen Methodik sind solcherlei Aussagen – trotz aller echter oder vermeintlicher Sachkunde, die sich ein Gericht selbst bescheinigen darf – angreifbar, da ein Richter nun mal kein Aussagepsychologe ist. Einen Richter der aufgrund seiner juristischen Ausbildung eine Herz-OP selbst vornimmt, würde auch keiner ernst nehmen.

 

3. Fehler: Kein Einholen eines Glaubhaftigkeitsgutachtens

Insoweit verwundert es, dass in der Gerichtspraxis nur in Ausnahmefällen ein aussagepsychologisches Gutachten zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage eingeholt wird, nämlich nur etwa in einem Viertel aller Verfahren. Denn vor allem die sehr häufig von Gerichten bescheinigte „eigene Sachkunde“ um die Hinzuziehung eines Aussagepsychologen zu vermeiden (ca. 60 % aller Glaubhaftigkeitsgutachten kommen zu dem Ergebnis, dass eine Falschaussage nicht ausgeschlossen werden kann!) ist oftmals angreifbar:

Zum einen muss ein Richter spätestens dann, wenn ein Zeuge Probleme bei der Wahrnehmung, Speicherung oder Rekonstruktion seiner Aussage haben könnte, einen Sachverständigen hinzuziehen, da nur mit aussagepsychologische Hilfe solche Problemlagen erkannt und beurteilt werden können. Kleinste Indizien z.B. aufgrund psychischer Probleme des Zeugen oder weil suggestive Einflüsse im Rahmen einer Therapie nicht auszuschließen sind oder schlicht, weil der Zeuge zum fraglichen Zeitpunkt Alkohol konsumiert hatte, bedürfen dann sachverständiger Beurteilung – fehlt es hieran, ist das Urteil wiederum angreifbar.

 

4. Fehler: Fehlerhafte Begründung der eigenen Sachkunde

Zum anderen werden aber auch bei der Begründung der sogenannten „eigenen Sachkunde“ des Gerichts schwere Fehler gemacht. Denn die Frage ob ein Gericht im Stande ist einer den wissenschaftlichen Anforderungen genügende Aussagenanalyse zu leisten, muss für alle Mitglieder des Gerichts gelten, auch und insbesondere für die Schöffen. Voraussetzung für jede Beratung und Entscheidung eines Gerichts ist, dass alle zur Entscheidung berufenen Mitglieder ausreichende Kenntnis des Streitstoffs haben. Denn bei der Rechtsfindung liegt die Verantwortung bei allen Mitgliedern des erkennenden Gerichts. Insoweit sind Beschlüsse in denen nur die Berufsrichter ausreichende Sachkunde besitzen fehlerhaft.
Deshalb muss also genau dargelegt werden inwieweit alle Mitglieder des Gerichts die erforderliche Sachkunde besitzen – auch und vor allem in Hinblick auf die Realkennzeichenanalyse oder die schwierige Frage der Aussagevalidität. Da Schöffen keine vollständige Aktenkenntnis und in den seltensten Fällen ausreichendes Methodenwissen haben, ist das Attestieren eigener Sachkunde für alle Gerichtsmitglieder praktisch überhaupt nicht möglich.

 

5. Fehler: Unterlassene Überprüfung der Aussagefähigkeit

In sehr vielen Fällen, stürzen sich Gerichte vorschnell auf die in der Aussagepsychologie entwickelten Kriterien der Glaubhaftigkeitsprüfung, etwa auf Detailreichtum und Widerspruchsfreiheit einer Aussage, ohne überhaupt auf die Aussagefähigkeit eines Belastungszeugen näher einzugehen. Dabei muss ein Gericht zunächst zwingend prüfen, ob der Zeuge überhaupt die Fähigkeit hat,
1. das fragliche Tatgeschehen realitätsgerecht wahrzunehmen,
2. zu dieser Wahrnehmung eine entsprechende Erinnerung zu bilden
3. sich gegenüber Suggestiveinflüssen abgrenzen zu können
4. Erlebtes von Phantasie und Traum unterscheiden zu können
5. und das im Gedächtnis gespeicherte später wieder abzurufen.

Ohnehin sind Zeugenaussagen in einer nicht unerheblichen Zahl – bewusst oder unbewusst – objektiv falsch. Das ist aus gedächtnispsychologischer Sicht fast zwangsläufig so, weil schon die Wahrnehmung von Tatsachen im Erlebniszeitpunkt subjektiv ist, ferner weil bereits die erste Abspeicherung unter Anreicherung mit Assoziationen erfolgt, weiter weil die gespeicherte Information laufend durch neue Eindrucke verändert wird und schließlich, weil der Abruf sowie die Verbalisierung weiteren Verfremdungsvorgängen unterliegen. Als wäre das alles nicht schon schlimm genug (man halte sich nochmals vor Augen, dass trotz dieser Unzulänglichkeiten der Aussage von Zeugen ein Angeklagter für viele Jahre ins Gefängnis gesperrt werden kann) hat sich innerhalb der letzten Jahre immer wieder herausgestellt, dass beeinträchtigende Umstände in der menschlichen Wahrnehmung dazu führten, dass (Opfer)Zeugen falsche, beschuldigende Aussagen machten:

a) Keine oder verminderte Aussagetüchtigkeit bei Alkoholkonsum
Insbesondere dann, wenn das mutmaßliche Tatopfer zur Zeit der vermeintlichen Tat-Begehung unter dem Einfluss berauschender oder betäubender Mittel (Alkohol?!) gestanden hat, wird das die Aussagetüchtigkeit erheblich nachteilig beeinflussen, denn Ereignisse, die sich in diesem Zustand ereignet haben, sind später nicht mehr (korrekt) abrufbar, da die normale Speicherung von Inhalten im Langzeitspeicher des Gehirns verhindert wird.

b) Keine oder verminderte Aussagetüchtigkeit in Folge einer Therapie
Ein weiterer Punkt der oft übersehen wird ist, dass sich Auskunftspersonen, die vortragen, sexuell missbraucht oder belästigt worden zu sein, häufig in Therapie begeben. Hierbei besteht allerdings die hohe Gefahr, dass sich Erinnerungsinhalte mit den therapeutischen Maßnahmen vermischen. Gerade innerhalb der Therapie sind Patienten für Suggestionen besonders anfällig. Der Therapeut bringt den Angaben des Patienten ein uneingeschränktes Vertrauen entgegen, deren Wahrannahme ja Teil der therapeutischen Arbeit ist. Umgekehrt will der Patient darauf vertrauen können, dass der Therapeut die Angaben nicht kritisch hinterfragt oder gar ganz infrage gestellt. In diesem Gefüge von rational und emotional verquickter Kommunikation ist es für den Patienten kaum mehr möglich, die Quellen seiner Erinnerung zu unterscheiden.

c) Keine oder verminderte Aussagetüchtigkeit bei posttraumatischer Belastungsstörung
Noch seltener findet das Problem der posttraumatischen Belastungsstörung in Gerichtsurteilen Beachtung. Durch selektive Unaufmerksamkeit während der traumatischen Erfahrung können fehlerhafte Erinnerungen oder Verfälschungen entstehen mit nachfolgendem Verlust konkreter Detailerinnerungen. Dabei neigen Menschen leicht dazu, sich an ein Trauma als schlimmer zu erinnern als es ihnen tatsächlich widerfahren ist. Nach einer traumatischen Erfahrung können sowohl durch bewusste als auch durch unbewusste Erinnerungen neue Details hervorgebracht werden, die sich im Laufe der Zeit dann in die Erinnerung der Person an das fragliche Ereignis manifestieren und damit die Aussagefähigkeit nachteilig beeinflussen.

d) Keine oder verminderte Aussagetüchtigkeit aufgrund von Beeinflussungen der Aussage (Auto- und Fremdsuggestion)
Ein gravierender Fehler stellt die Nichtbeachtung suggestiver und / oder autosuggestiver Einflüsse dar. Damit ist gemeint, dass ein Zeuge nicht über die eigene Wahrnehmung berichtet, sondern fremde oder selbst erdachte Wahrnehmungen übernommen oder nachgeahmt werden.

In einer Vielzahl von empirischen Studien wurde erforscht, durch welche Faktoren und Bedingungen, z. B. durch welche (Befragungs-)Techniken, solche suggestive Einflüsse bei Personen ausgelöst werden und sich verfälschend auf Gedächtnisinhalte auswirken:
1. selektive Wahrnehmung des Ereignisses, Vergessen etc.
2. bewusstes Selbsteinreden,
3. unbewusste eigene Einflüsse, denen die befragte Person unterliegt,
4. unbewusste Einflüsse von außen (durch nachträgliche Informationen, Befragungen etc..)

Viele Juristen wissen mit diesen Phänomenen aus der Aussagepsychologie allerdings wenig anzufangen oder tun sie als parapsychologischen Quatsch ab. Dabei gibt es eine Vielzahl an wissenschaftlichen Experimenten, die das Problem rund um die Suggestion beweisen:
So wurden beispielsweise Probanden nach Details gefragt, die auch Gegenstand von nachträglichen Informationen waren, indem Testpersonen zunächst einen Film über einen Verkehrsunfall dargeboten bekamen und im Anschluss daran in mehrere Gruppen eingeteilt wurden. Eine Gruppe der Probanden wurde danach gefragt, wie schnell die Autos wohl fuhren, als sie zusammenstießen. Bei den weiteren Gruppen benutzte man alternativ die Formulierungsnuancen „als sie aufeinander trafen“, ,,…. als sie kollidierten“ und ,,…. als sie zusammenkrachten“.
Nach einer Woche schloss sich die Frage an, ob die Testpersonen zerbrochenes Glas gesehen hätten, obwohl es im Film kein zerbrochenes Glas oder Hinweise darauf gab.
Beeinflusst durch die unterschiedliche Wortwahl wurde jeweils eine unterschiedliche Stärke der Kollision unterstellt und in den Erinnerungsbericht ein weiteres Detail (zerbrochenes Glas) implementiert. Im Ergebnis berichteten immerhin 16% derjenigen Versuchspersonen, bei denen das Wort „Zusammenkrachen“ in der Frageformulierung eingekleidet war, zerbrochenes Glas gesehen zu haben. Dies war bei der Vergleichsgruppe „zusammenstoßen“ nur bei 7% der Befragten der Fall.
Das Experiment konnte zeigen, dass – lediglich von Plausibilitätsgesichtspunkten geleitet – ein nicht unwesentlicher Teil der Probanden im Nachhinein nichtreale Elemente in ihren Erinnerungsbericht einfügte und nachträgliche spezifische Informationen eine starke suggestive Wirkung entfalten, die den Erinnerungsbericht einer Person stark verfälschen. In Extremfällen werden ebenso fiktive Elemente in die Aussage implementiert oder es erfolgen Schilderungen über ganze Ereignisse, die überhaupt nicht stattgefunden haben.

Klassisches Beispiel für das Einfügen niemals stattgefundener Geschehnisse ist folgender, wahrer Fall aus Berlin:
In einem vollen Hörsaal, in dem in wenigen Minuten die Vorlesung beginnen wird, wird es auf einmal laut am Rednerpult. Zwei Männer schreien sich an, immer wütender. Der eine droht dem anderen eine Ohrfeige an. In diesem Moment kommt der Professor herein und ruft den Studenten zu: »Schreiben Sie alle sofort auf, was sich hier gerade ereignet hat.« Den Vorfall hatte der Professor inszeniert.
Von den vielen Hundert Studenten schrieben nicht wenige, sie hätten »gesehen«, dass einer den anderen tatsächlich geohrfeigt habe, der dann, so beschrieben es einige, eine Pistole zog und, so schrieben manche, einen Schuss abgab, der das Opfer zu Boden sinken ließ. Dabei war die Sache ja erst vor wenigen Augenblicken geschehen, und die Zeugen waren angehende Juristen…
Ihnen wollte der Professor beweisen, was sie sonst wohl nicht geglaubt hätten: dass man nämlich fest überzeugt sein kann, etwas gesehen zu haben, das sich nicht ereignet hat – Oder wie es der renommierte Strafrechtswissenschaftler Klaus Volk sagt: „Das Gehirn schreibt die Story – nicht das Auge.“ Dabei geben experimentelle Studien sowie Beispiele aus der gutachterlichen Praxis zu Missbrauchsfällen Hinweise darauf, dass gerade bei Vorliegen der Kombination verschiedener suggestiver Einwirkungen eine Veränderung der Aussage noch wahrscheinlich macht.

Vor allem Betreuungssituationen von Opferbeiständen, Psychotherapeuten aber auch Vernehmungsbeamten bergen die Gefahr, dass das Aussageverhalten des Zeugen im Rahmen der Gerichtsverhandlung materialreicher ausgestaltet wird, zumal zwischen der unmittelbaren Wahrnehmung des (streitigen) Sachverhaltes und der Zeugenvernehmung vor Gericht ein nicht unerheblicher Zeitraum liegt, der je größer er ist, desto wahrscheinlicher dazu führt, dass die verbliebene Erinnerung mit dem wahrgenommenen Ursprungsereignis nicht mehr deckungsgleich ist. Unterlässt es daher ein Gericht vorgetragene Bedenken einer möglichen Suggestion zu würdigen, ist das Urteil angreifbar.

 

6. Fehler bei der Überprüfung der Qualität der Aussage

Das eigentliche Kernstück der Glaubhaftigkeitsüberprüfung ist die sog. merkmalsorientierte Inhaltsanalyse. Sie basiert auf der These, dass ein Zeuge, der sich an tatsächlich Erlebtes erinnert, nur auf vorhandene Inhalte seines Gedächtnisses zurückgreifen muss. Ein falschaussagender Zeuge muss seine Aussage auf der Basis seines Alltagswissens oder seiner Vorstellungen über das behauptete Delikt konstruieren. Daraus folgt, dass es Falschaussagenden schwerer fallen dürfte, eine qualitativ hochwertige Aussage zu machen, zumal man stets bemüht sein muss, einen möglichst glaubwürdigen Eindruck zu hinterlassen.
Eine realitätsbasierende Aussage wird – so zumindest die These der Aussagepsychologen – u.a. schlüssig, sehr detailreich und eher unstrukturiert sein. Und auch nebensächliche Schilderungen sind kein Problem für den wahr Aussagenden (denn wer sich an tatsächlich Erlebtes erinnert, braucht keinen roten Faden und merkt sich auch vermeintlich Unwichtiges). Wahr Aussagende sind auch nicht darauf bedacht zu „beweisen“ dass ihre Geschichte wahr ist, weshalb Erinnerungslücken eingestanden werden oder auch spontane Verbesserungen der Aussage vorkommen. Auch Selbstbelastungen sollen für den Wahrheitsgehalt sprechen, denn ein falsch Aussagender will überzeugen und keine Zweifel an seiner Geschichte aufkommen lassen.
Diese sog. Qualitätsmerkmale werden in der Aussage gesucht und bewertet. Ist die Aussage von entsprechend „hoher Qualität“ wird man zu der Überzeugung gelangen, dass die Aussage erlebnisbasiert also „wahr“ ist, andernfalls wird man diese These verwerfen.
Die Überprüfung anhand der merkmalsorientierten Inhaltsanalyse einer Aussage ist aber nicht einfach. Schon gar nicht dürfen die Qualitätskriterien schematisch angewendet werden. Denn selbstredend weisen manche Merkmale stärkere Ergebniskraft auf, als andere. Auch die Häufigkeit einzeln vorkommender Merkmale spielen bei der Bewertung eine Rolle.
Dennoch ist in der Gerichtspraxis häufig zu beobachten, dass Qualitätsmerkmale katalogartig abgearbeitet werden, ohne dabei auf die wichtige Bewertung der einzelnen Kriterien und am Ende in einer nochmaligen Gesamtschau einzugehen. Auch unterliegen Gerichte dem häufigen Fehler vorschnell einzelnen aussagepsychologischen Merkmalen eine Qualität beizumessen, die sie aufgrund alternativer Erklärungen aber gar nicht haben. Werden etwa genaue Details des als nicht einvernehmlich behaupteten Geschlechtsverkehrs geschildert, haben diese gerade dann keinen Qualitätsfaktor, wenn solche Details auch bei dem vom Angeschuldigten einvernehmlich stattgefundenen Verkehr zu erwarten wären.
Großes Problem ist auch oft die fehlende Konkretisierung in Bezug auf die Tatzeit, insbesondere bei länger zurückliegenden Tatvorwürfen. Viele Gerichte und Staatsanwaltschaften meinen dann die Maßstäbe lockern zu können und eine Überprüfung der Aussage anhand der aufgezeigten Maßstäbe ist dann kaum mehr möglich. Beispielsweise macht eine vage Konkretisierung der Tatzeit es dem Angeklagten faktisch unmöglich, sich durch ein Alibi zu entlasten – wenn etwa die vermeintliche Tat lediglich auf „irgendwann im Sommer vor zehn Jahren“ festgelegt wird. In krassen Fällen kann eine solche Anklage nicht den gesetzlichen Anforderungen genügen (Stichwort: Umgrenzungsfunktion) und ist schon aus diesem Grund zurückzuweisen.

 

7. Fehler durch Unterlassen eines sog. Qualitäts-Kompetenz-Vergleichs

Eh man zu dem Ergebnis einer erlebnisbasierten Aussage kommen kann, muss abschließend geprüft werden, ob der Aussagende in der Lage war, das Ausgesagte auch ohne Erlebnisgrundlage zu produzieren, also zu erfinden. Denn es leuchtet ein, dass wenn der Zeuge z.B. selbst Aussagepsychologe wäre, er mit seinem Wissen durchaus in der Lage sein wird, auch eine falsche Aussage als „wahr“ zu verkaufen.
Insoweit müssen tunlichst auch alle individuellen Leistungsmerkmale des Aussagenden berücksichtigt werden, insbesondre auch seine sog. Erfindungs-Kompetenzen. Gerade die Analyse der Gedächtnisleistung und Erinnerungsbesonderheiten aber auch Wissen und Vorerfahrung, Komplexität des fraglichen Ereignisses, Zeitraum zwischen fraglichem Ereignis und Befragung haben hierbei großes Gewicht. Ebenso die Ergebnisse einer ausführlichen Sexualanamnese (bei Sexualdelikten) und anderer personaler Besonderheiten. Leider unterlassen viele Gerichte die Exploration solcher Schilderungskompetenzen was zwangsläufig zur Fehlerhaftigkeit der Beweiswürdigung führt.

 

8. Fehler aufgrund schematischer Anwendung der aussage-psychologischen Prüfung

Last but not least darf sich die Anwendung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderten aussagepsychologischen Überprüfung nicht als eine Art Kopie eines anderen aussagepsychologischen Gutachtens darstellen. Insbesondere verbietet sich – wie oben gezeigt – jede schematische Anwendung. Der Richter muss sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinandergesetzt haben.
Eine Beweiswürdigung, die z.B. über alternative Hypothesen ohne Erörterung hinweggeht oder solche gar nicht erst erkennt, ist ebenso rechtsfehlerhaft wie wenn gewichtige Umstände nicht mit in Betracht gezogen werden.
Rechtsfehlerhaft ist daher, wenn naheliegende Gesichtspunkte, die zu einem für den Angeklagten günstigerem Ergebnis führen könnten, bei der Konstellation Aussage gegen Aussage nicht in Betracht gezogen werden, so z.B. wenn ein Zeuge in Bezug auf ein wenig vergessensanfälliges Erleben „Erinnerungslücken“ behauptet. Ein Urteil das diesen Mangel in der Zeugenaussage damit begründet, eine falsche Anschuldigung erhebender Zeuge werde häufig darauf bedacht sein, seine Geschichte von Schwächen freizuhalten, so dass Erinnerungslücken ein Merkmal besonderer Glaubhaftigkeit seien, so kann dies nur für Erinnerungslücken gelten, die mit allgemeinen Gedächtnisgesetzmäßigkeiten erklärbar sind nicht aber für das „Vergessen“ wesentlicher Details.
Kommt es beim Zeugen zu Inkonstanzen in seiner Aussage, stellt dies gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung einen Hinweis auf mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar, wenn sie nicht mehr mit natürlichen Gedächtnisunsicherheiten erklärt werden können. So ist bei der Schilderung von körpernahen Ereignissen z.B. bei einer Vergewaltigung zu erwarten, dass Zeugen markante Körperpositionen auch über längere Intervalle in Erinnerung behalten. Ebenso, wie etwa die Kleidung ausgezogen oder welche sexuellen Handlungen im Einzelnen vorgenommen wurden.
Wurde daher z.B. durch Staatsanwaltschaft oder Gericht einem Opferzeugen Akteneinsicht gewährt ist das Gericht verpflichtet, die Aussagen des Belastungszeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen, weil ein Zeuge aufgrund der Aktenkenntnis seine Aussage präparieren und auf die inhaltliche Konstanz der Aussage wesentliche Auswirkung haben kann!

 

Zusammenfassung

Wie gezeigt, stellt sich die Konstellation „Aussage gegen Aussage“ als ein zweiköpfiges Ungeheuer dar. Zum einen kann ein Gericht entgegen jeder menschlichen Vernunft jemanden aufgrund der bloßen Aussage eines anderen verurteilen, ohne dass es hierzu weiterer, vor allem objektiver Sachbeweise bedürfte, zum anderen fordert die höchstrichterliche Rechtsprechung genau deshalb so hohe Hürden, dass Fehler bei der Beweiswürdigung geradezu vorprogrammiert sind.
Gerade deshalb ist es immanent wichtig einen Anwalt an der Seite zu haben, der sich mit den schwierigen Facetten bewusster oder unbewusster Falschbeschuldigung, insbesondere der Aussagegenese, der Aussagevalidität und der Aussagequalität bestens auskennt. Denn mit Hilfe entsprechender Beweisanträge lassen sich Fehlerquellen aufdecken, z.B. anhand einer fundierten Prüfung der Aussageentstehung, Widersprüchen, Auslassungen oder Fehler in der chronologischen Schilderung, Inkonstanzen, das Fehlen von Schilderungen zum Kerngeschehen, verdächtige Strukturiertheit sowie defizitäre Interaktionsschilderungen und Komplikationen im Handlungsablauf, Mängel im Detaillierungsgrad und der Anschaulichkeit, auffallender Kongruenzen oder Strukturgleichheit usw..

Unsere Kanzlei ist gerade wegen der häufig bei Sexualdelikten auftretenden „Aussage gegen Aussage“-Konstellation auf diese Materie besonders spezialisiert und arbeitet mit renommierten Gerichtsgutachtern und Sachverständigen zusammen, um unseren Mandanten so zum bestmögliche Ergebnis zu verhelfen.

Unsere Kanzlei hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit engagierter, seriöser, und sachkundiger Expertise sämtliche rechtlichen Möglichkeiten des Strafverfahrens auszuschöpfen und hierfür effektive Verteidigungsstrategien zu entwickeln, die gerade auch auf die typischen Schwachpunkte des Justizsystems zielen.

Kein anderes Rechtsgebiet kennt so viele Ermessensspielräume, hält man sich allein die weit gefassten Rechtsfolgen vor Augen, die das Strafverfahren vorsieht: von der Verfahrens-Einstellung (mit oder ohne Geldauflage), über das schriftliche Strafbefehlsverfahren, bis hin zur Nichteröffnung des Verfahrens, Freispruch, Verwarnung, Absehen von Strafe oder Freiheitsstrafen von wenigen Monaten bis zu vielen Jahren – mit oder ohne Bewährung;

Der Ausgang im Strafrecht hängt damit wesentlich von der Wahl des richtigen Anwalts ab.

Da aber– ähnlich wie beim Arzt – das Vertrauen in den bestmöglichen Händen zu sein wichtigste Faktor für eine anwaltliche Beauftragung ist, können Sie uns jederzeit vorab kontaktieren, um sich einen persönlichen Eindruck von unserer Erfahrung und Kompetenz zu machen.

Kontaktieren Sie uns daher jederzeit per Mail über anwalt@verteidigung-strafrecht.de oder telefonisch unter +49 (89) 89 08 44-89  und wir beraten Sie gerne zu den Optionen einer ausführlichen Erstberatung oder Beauftragung sowie den rechtlichen Möglichkeiten und Kosten.

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